Äthiopien: Neuer Premier reicht Eritrea die Hand

Badme/Salzburg (IPS/afr). Seit Anfang April ist Abiy Ahmed Premierminister von Äthiopien. Und der 43-Jährige sorgt gleich für ein Tauwetter zwischen den verfeindeten Staaten Äthiopien und Eritrea. Ahmed will die umstrittene Entscheidung über den Grenzverlauf akzeptieren und die Stadt Badme Eritrea zuerkennen.
Im Jahr 1998 brach in der Grenzstadt Badme der Eritrea-Äthiopien-Krieg aus. Die bewaffnete Auseinandersetzung dauerte zwei Jahre und forderte etwa 80.000 Menschenleben. Hintergrund des Konflikts waren gegenseitige Gebietsansprüche an der Grenze, die bis in die Anfänge der Kolonialzeit zurückreichen.

Eritrea stand ab 1885 unter italienischer Herrschaft. Von hier aus versuchte Italien mehrmals, das benachbarte Äthiopien zu kolonialisieren. Ohne Erfolg: 1902 wurde in einem Vertrag zwischen Italien und Äthiopien der Grenzverlauf zu Eritrea festgelegt. Die Grenze im Gebiet um die Stadt Badme wurde dabei aber nur vage definiert.

1961 wurde Eritrea von Äthiopien annektiert. Nach einem 30-jährigen Unabhängigkeitskampf wurde Eritrea 1993 unabhängig. Damit begann der Streit um den Grenzverlauf: Beide Länder erhoben Anspruch auf die Stadt Badme und die umliegende Region.

Im Friedensabkommen von Algier von 2000 einigten sich beide Staaten darauf, den Grenzziehung von einer unabhängigen Kommission bestimmen zu lassen. Die “Ethiopian-Eritrean Boundary Commission”(EEBC) sprach am 13. April 2002 das Gebiet um Badme Eritrea zu. Äthiopien weigerte sich jedoch, den Schiedsspruch anzuerkennen.

Seitdem war die Lage an der Grenze äußerst angespannt. Am 5. Juni 2018 kündigte der neue Premierminister Abiy Ahmed überraschend an, die Entscheidung der EEBC akzeptieren zu wollen. Nun herrscht in Äthiopien die Zuversicht, dass die Feindseligkeiten mit dem nördlichen Nachbarn bald der Vergangenheit angehören könnten.

Grenzkonflikt befeuert regionale Instabilität

“Äthiopiens Sinneswandel in Richtung Eritrea ist echt und hängt direkt mit den bedeutenden Veränderungen zusammen, die sich im Inland ereignen”, erklärte Awol Allo, Rechtswissenschaftler an der britischen Keele University in einem Kommentar für Al Jazeera. “Der neue Premierminister Äthiopiens, Abiy Ahmed, hat die politische Landschaft Äthiopiens und ihre strategische Ausrichtung neu gestaltet. Er treibt mit unglaublicher Geschwindigkeit Dinge voran, die den politischen Raum erweitern und die sozialen Spaltungen und Gegensätze innerhalb des Landes verringern.”

Der Frieden mit Eritrea gehört offenbar zu den vorrangigen Prioritäten des neuen Premiers. Bis zur Unabhängigkeit von Eritrea unterhielten die beiden Ländern enge wirtschaftliche, kulturelle und politische Verbindungen. Abiy Ahmed will nun die Zusammenarbeit wiederbeleben und sogar weiter ausbauen: “Jeder Äthiopier sollte erkennen, dass von uns erwartet wird, dass wird eine verantwortliche Regierung sind. Eine Regierung, die Stabilität in unserer Region gewährleistet. Eine Regierung, die die Initiative ergreift, um die Brudervölker beider Länder zu verbinden und die Zugs- und Busverbindungen sowie die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Asmara und Addis Abeba zu verbessern.”

Der Konflikt zwischen Eritrea und Äthiopien hatte erhebliche Auswirkungen. Neben den hohen Anzahl von Todesopfern führten die Feindseligkeiten zu einem Stellvertreterkrieg in Somalia, in dem beide Staaten unterschiedliche Bürgerkriegsparteien unterstützten. Dadurch wurde die ohnehin volatile Region weiterhin destabilisiert.

Afewerki in der Zwickmühle

Während aber Äthiopien zum Liebkind der internationalen Entwicklungszusammenarbeit aufstieg und von China mit Milliardeninvestitionen überhäuft wurde, stürzte Eritrea immer weiter ab. Das Regime von Isayas Afewerki, der sich seit der Staatsgründung an der Macht hält, ist heute völlig isoliert. Die Repressalien gegen die eigenen Bevölkerung und die marode Wirtschaftslage haben dazu geführt, dass eine Fluchtwelle in Richtung Äthiopien gesetzt hat.

Durch das äthiopische Friedensangebot ist Isayas Afewerki in eine Zwickmühle geraten. Jahrelang hatte er den Militärdienst, der auf unbestimmte Zeit verlängert werden konnte, mit der Bedrohung durch Äthiopien gerechtfertigt.

Abraham Zere ist Direktor des internationalen Autorenverbands P.E.N. in Eritrea. Gegenüber Al Jazeera sagte Zere: “Der Ruf Äthiopiens nach Normalisierung und Frieden bringt Präsident Afewerki in eine sehr schwierige Lage. Dieser unterminiert Afewerkis Strategie, Äthiopien für seine repressive Herrschaft verantwortlich zu machen.”

Daher ist es nicht verwunderlich, dass eine Antwort von Asmara auf das äthiopische Friedensangebot auf sich warten ließ. Am 20. Juni kündigte Afewerki schließlich an, als ersten Schritt eine Delegation nach Addis Abeba entsenden zu wollen. Am 26. Juni wurde die eritreische Delegation, die von Außenminister Osman Saleh angeführt wurde, in Äthiopien empfangen.

Widerstand in Äthiopien

Aber auch im Grenzgebiet selbst will keine rechte Freude über die geplante Neuordnung aufkommen. Vor allem auf äthiopischer Seite formiert sich der Widerstand. “Wir haben kein Problem damit, uns mit unseren eritreischen Brüdern zu versöhnen, aber wir werden Badme nicht verlassen”, sagte Teklit Girmay, ein Beamter der lokalen Regierung, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. “Wir wollen keinen Frieden, indem wir dieses Land nach all den Opfern einfach verschenken.”

Außerdem knüpft die Volksbefreiungsfront von Tigray, welche die Regionalregierung in der nördlichsten äthiopischen Region Tigray stellt, ihre Zustimmung an weitere Zugeständnisse durch Eritrea: “Die Volksbefreiungsfront von Tigray wird nicht an einem Prozess teilnehmen, welche die Interessen der Bevölkerung von Tigray schädigt”, heißt es in einer Erklärung der Partei.

Für viele Äthiopier und Eritreer hat Badme vor allem symbolischen Charakter. Der Rechtswissenschaftler Awol Allo meint: “Der Name Badme verdichtet eine ganze Reihe politischer und ökonomischer Ängste sowie hegemonialer Bestrebungen, die für Brutalität, Furcht, Schuld, Scham und Stolz stehen.” (Ende)

James Jeffrey