Kamerun: Baka sehen den Wald als beste Schule

Yaoundé. Die Sommerferien neigen sich in Österreich schön langsam dem Ende zu. In wenigen Wochen werden etwa 80.000 Kinder von der Volksschule an eine Neue Mittelschule oder an ein Gymnasium wechseln. Für die Kinder der Baka, einer indigenen Gesellschaft in den Regenwäldern von Kamerun, ist das Ende der Grundschule zumeist das Ende ihrer schulischen Ausbildung.

Es ist ein sonniger Nachmittag in Boui, einem kleinen Dorf im Bezirk Boumbo-et-Ngoko in der kamerunischen Ostregion. In der örtlichen Grundschule malt die Lehrerin Quinta Kochi ein paar wilde Tiere an die Tafel. Dann dreht es sich zu den fünfzehn Schülerinnen und Schülern seiner Klasse um. “Wer kann mir die Namen dieser Tiere nennen”, fragt sie. Als die Kinder reagieren, ermutigt sie diese mit einem Lächeln und freundlichen Worten.

Lisette Bikola ist eines der Kinder. Mit zwölf Jahren ist sie im Schnitt vier Jahre älter als ihre Mitschüler. Dennoch hat Lisette große Träume: “Ich gehe in die Schule, weil ich Lehrerin werden möchte”, sagt sie. “Ich möchte Englisch und Französisch lernen und in der Lage sein, Briefe für meine Eltern zu schreiben und zu lesen.”

Dieser Traum wird wohl nicht in Erfüllung gehen. Kaum ein Kind der Baka besucht nach der sechsjährige Grundschule eine Sekundarschule. Zu diesem Missstand tragen eine Reihe von Faktoren bei. Zu diesen zählen Armut, Diskriminierung, traditionelle Rollenbilder sowie eine Bildungspolitik, die kaum auf die Bedürfnisse der Baka eingeht.

Enorme Drop-Out-Rate

Im Dorf Ntam-Carrefour ist der 14-jährige Bernard Elinga ebenfalls erst in der dritten Klasse der Grundschule. Wie Lisette Bikola will er aber unbedingt aus seinem Leben etwas machen. “Ich möchte einen Beruf ergreifen, der wichtig ist”, sagt er und führt “Lehrer, Soldat oder Polizist” als konkrete Berufswünsche an.

Vor zwei Jahren wurde Elinga als eines von 30 Baka-Kindern an der Grundschule in Ntam-Carrefours eingeschrieben. Heute ist der Einzige aus dieser Gruppe, der noch an der Schule ist. Alle anderen haben die Schule abgebrochen, um in die Fußstapfen ihrer Eltern als Jäger und Sammler zu treten.

David Angoula ist Vater von zwei Söhnen. Beide haben die Schule sausen lassen, um die Tradition fortzuführen. “Wir gehen in den Wald, um nach Nahrung zu suchen”, erklärt Angoula. “Unsere Eltern haben uns eine Schule im Wald hinterlassen und nun ist es an uns, unseren Kindern dieses Wissen zu zeigen, damit sie die Kultur der Vorfahren nicht vergessen.”

Angoula und seine Söhne gehören zu einer Gruppe von Männern, die gerade einen riesigen Baum mit Spitzhacken bearbeiten. Im Stamm hat sich ein Bienenvolk eingenistet. Mit Hilfe von Rauch versuchen Frauen und Kinder, die Bienen zu schwächen, um einfacher an den Honig zu kommen.

Das Sammeln von wildem Honig ist Teil der täglichen Routine der fast 30.000 Baka in den dichten Wäldern im Südosten von Kamerun. Sie ernähren sich von dem, was sind im Wald vorfinden – neben dem Honig sind das vor allem Früchte, Knollen und Wildtiere.

Der Wald ist Heimat und Apotheke

“Der Wald ist unser Zuhause”, sagt der 58-jährige Dominique Ngola. “Er gibt uns alles, was wir brauchen: Die gute Luft, die wir atmen. Die Nahrung, die wir essen. Und die Heilkräuter, die uns gesund halten.”

Bäume, Tiere und Vögel sind elementarer Bestandteil des Lebens der Baka. Es ist diese tiefe Verbindung zwischen Mensch und Natur, die Versuche zur Einführung einer formalen Bildung hier bislang weitgehend scheitern ließen.

Sarah Tucker ist Beraterin beim World Wildlife Fund (WWF), der in Kamerun mehrere Projekte unterhält. In vielen dieser Tier- und Naturschutzprojekte spielt Bildung eine wichtige Rolle. Tucker berichtet, dass viele Eltern die Vorteile des Schulunterrichts nicht sehen: “Ein Kind zur Schule zu schicken verlangt von den Eltern viele Opfer. Aber die Vorteile dieser Opfer sind für sie nicht ersichtlich.”

Dennoch gibt es aber auch innerhalb der Baka Befürworter der formalen Schulbildung. Die Fürsprecher sind davon überzeugt, dass ein guter Unterricht in einer sich schnell verändernden Welt überlebensnotwendig ist. Allerdings verweisen sie auch darauf, dass die Schulbildung an die Bedürfnisse der Baka angepasst werden muss.

Maßgeschneiderte Bildungsangebote

In dasselbe Horn stößt erzählt Martijn ter Heegde, ehemaliger Leiter des WWF-Projekts Kudu-Zombo im Nationalpark Campo Ma’an in der Südregion von Kamerun. “Wir haben gelernt, dass die Baka eine besondere Art von Bildung brauchen. Mit dem allgemeinen Unterricht sind wir nicht erfolgreich gewesen. Es braucht eigene Lehrpläne sowie spezielle Kurse und Methoden, um die Bildungsangebote erfolgreich unter die Baka zu bringen.”

Gemeinsam mit der Regierung und Vertretern der indigenen Gesellschaft arbeitet der WWF deshalb an maßgeschneiderten Bildungsangeboten. Zentrale Säulen dabei sind die Verwendung der lokalen Sprache im Unterricht sowie die Anpassung der Schulzeiten an den traditionellen Kalender der Baka. “Das bedeutet, dass wir im Dezember und Jänner keinen Unterricht haben”, erklärt Sarah Tucker. “Denn in dieser Zeit gehen die Kinder mit ihren Eltern in den Wald und bleiben dort für Wochen.”

Auch die anschauliche Gestaltung des Unterrichts mit konkreten Beispielen und die Anwendung von partizipativen Lernmethoden seien von entscheidender Bedeutung, meint Tucker. Diese Einschätzung deckt sich auch mit den Erfahrungen von Quinta Kochi, der Lehrerin an der Grundschule von Boui: “Die zwei Baka-Kinder in meiner Klasse verstehen sehr schnell, wenn ich Beispiele aus ihrer unmittelbaren Umgebung bringe.” (afr/IPS)

Ngala Killian Chimtom